Das Archiv von 1498 bis 1926


Auf Spurensuche

Buchtip: WIEN MUSIKGESCHICHTE von Elisabeth Fritz-Hilscher
Buchtip: WIEN MUSIKGESCHICHTE von Elisabeth Fritz-Hilscher

Unter persönlicher Mithilfe von Mag. Dr. Elisabeth Fritz - Hilscher (Mitglied der Kommission für Musikforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Autorin einiger Bücher, wie zum Beispiel WIEN MUSIKGESCHICHTE), hat sich Chormitglied Wolfgang Equiluz auf die Suche nach den Vorfahren des heutigen Staatsopernchores gemacht. Die Fragestellung war: ab wann gab es in Wien professionelle, vom Staat (bzw vom Kaiserhaus) fest angestellte Chorsänger?

 

Die erstaunliche Antwort: bereits seit 1498 (also seit mehr als 500 Jahren) haben sich die Habsburger Kaiser eigene Musiker- Ensembles (Instrumentalisten und Sänger) geleistet, die nach dem Zerfall der Monarchie vom österreichischen Staat als die Orchester und Chöre der Wiener Staats- und Volksoper weitergeführt wurden.


1498: Gründung der Wiener Hofmusikkapelle

"Triumphzug" der kaiserlichen Hofmusik von Maximilian I. Links das Vocalensemble, vorne die Instrumentalisten (Hans Burgkmair / Archiv der ÖNB).
"Triumphzug" der kaiserlichen Hofmusik von Maximilian I. Links das Vocalensemble, vorne die Instrumentalisten (Hans Burgkmair / Archiv der ÖNB).

Am 7. Juli 1498 schrieb Maximilian I. einen Brief aus Freiburg im Breisgau, in dem er veranlasste, einen Singmeister, zwei Bassisten und auch sechs „Mutanten Knaben“ in Wien fest anzustellen. Daher gilt 1498 als Gründungsjahr der Wiener Hofmusikkapelle.

Heutzutage verbindet man mit dem Begriff "Hofburgkapelle" ausschließlich sakrale Musik. Doch waren die Musiker und Sänger ursprünglich auch für Feste, Empfänge, Konzerte und später auch für Opernaufführungen zuständig.

 

Die Hofmusikkapelle bestand zu gleichen Teilen aus Sängern, Sängerknaben und Instrumentalisten, war also vorwiegend ein Vokalensemble und setzte sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus insgesamt rund 50 Personen zusammen. Die Musiker sollten in mehreren Raten über das Jahr verteilt bezahlt werden, Reisekosten und Kleidung wurden extra abgegolten. Mit dem Einsetzen der Hofzahlamtsbücher existieren Belege für Pensionen und Honorare der Hofmusiker.Das Musikensemble wuchs zur Zeit der Renaissance an, Maximilian II. vergrößerte das Kapellpersonal, insbesondere die Zahl der Instrumentalisten. Unter den Musikern gab es nun auch eine Frau - ein Hinweis auf die "Verweltlichung" der Kapelle. Gegen Ende der Regierungszeit Karls VI. wurde mit ca. 160 Personen ein Maximalstand erreicht.

 

Mit Ferdinand II. und der Wahl von Wien als Reichshaupt-und Residenzstadt ab ca. 1620 beginnt für die HMK eine Verschiebung von der Kapelle für den Kirchengebrauch zur Kapelle für musikdramatische Produktionen und Kammermusik. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts wurden die Sänger und Musiker der Hofmusikkapelle "verbeamtet" und auf Lebenszeit angestellt. Diese Posten waren sehr begehrt, die Zahl der Musiker wuchs stetig an.


1625: Die Oper kommt nach Wien

Innenansicht des 1668 auf der "Cortina" errichteten Opernhauses. Es war aus Holz erbaut und wurde bereits 1683 wieder abgebrochen (Frans Geffels / Archiv der ÖNB).
Innenansicht des 1668 auf der "Cortina" errichteten Opernhauses. Es war aus Holz erbaut und wurde bereits 1683 wieder abgebrochen (Frans Geffels / Archiv der ÖNB).

Die Oper, damals noch eine sehr junge Kunstgattung, wurde von Kaiserin Eleonore von Gonzaga aus ihrer Heimat Mantua mit an den Wiener Hof ihres Mannes Ferdinand II. gebracht. Ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden die Festtage des Hofes mit repräsentativen und kostspieligen Opernaufführungen gefeiert.

 

Eine kontinuierliche Opernpraxis am Kaiserhof ist erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachweisbar. Aufführungsort der frühen Opern war ein großer, 1629 aus Holz errichteter Tanzsaal an der Stelle der heutigen Redoutensäle.

 

1668 wurde ein neues Opernhaus auf der Cortina, der Stadtmauer im Bereich des heutigen Burggartens, mit einem Fassungsraum von bis zu 5000 Personen eröffnet. Ab Ferdinand II. erlebte die Oper ihre Blütezeit am Kaiserhof, sie wurde zu einer der Hauptaufgaben der Hofmusikkapelle. Das erforderte eine neue personelle Zusammensetzung: Opernsänger und -sängerinnen wurden engagiert, die Zahl der Sängerknaben dafür verringert.


1709: Das Kärntnertortheater

1709 wurde das "Theater nächst dem Kärntnertor" errichtet. Ursprünglich sollte es dem deutschsprachigen Schauspiel dienen. Allerdings wurden zunächst auf Anordnung Kaisers Josephs I. italienische Opern bevorzugt, damals eine den Eliten vorbehaltene Unterhaltungsform. Maria Theresia entschied 1748 über eine Teilung der Kompetenzen der Hofmusik: der Bereich der Oper/musikdramatischen Produktion wurde außer Haus verlagert. Bezahlt wurden aus dem Hofetat nur die Musiker, die über bestehende Verträge verfügten. Die größten Eingriffe betrafen die große höfische Oper, die auf eine reine Unterhaltung bzw. ein "Rahmenprogramm" für dynastische Feste und Feiern reduziert wurde.

Das Kärntnertortheater in Wien
Das Kärntnertortheater in Wien

Ab 1736 ist ein gewisser Niedergang der HMK zu bemerken, ausgelöst durch finanzielle Probleme und eine hohe Überalterung. In den Jahren 1737 bis 1740 ist ein Abgang von mehr als 40 Personen (durch Tod und Pensionierung) zu verzeichnen. Joseph II. stellte 1780 das Kärntnertortheater unter seinen persönlichen Schutz. Der ab 1775 hier als Kapellmeister engagierte Antonio Salieri wurde zum „artistischen“ Leiter ernannt. Am 8. 2. 1870 fand die letzte Vorstellung statt, anschließend wurde es abgetragen. Auf dem freigewordenen Platz ließ Eduard Sacher ein Hotel erbauen.

 

URAUFFÜHRUNGEN unter Mitwirkung des Chores (Auswahl):
1774 (4. April): Thamos, König in Ägypten von Wolfgang Amadeus Mozart
1814 (23. Mai): Fidelio (dritte und letzte Fassung) von Ludwig van Beethoven
1824 (7. Mai): Beethovens 9. Sinfonie
1842 (19. Mai): Linda di Chamounix von Gaetano Donizetti
1847 (25. November): Martha von Friedrich von Flotow


1748: Das alte Burgtheater am Michaelerplatz

Das alte Burgtheater am Michaelerplatz in Wien
Das alte Burgtheater am Michaelerplatz in Wien

Das ursprüngliche Burgtheater wurde in einem Ballhaus eingerichtet, wo bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Vorläufer des Tennis gespielt wurde. 1741 erteilte Kaiserin Maria Theresia die Erlaubnis, das Ballhaus in ein Theater umzuwandeln. Gleichzeitig wurde ein neues Ballhaus in unmittelbarer Nähe errichtet, das dem heutigen Ballhausplatz seinen Namen gab.  Im Jahre 1748 wurde das neu gestaltete „Theater nächst der Burg“ eröffnet. 1756 erfolgten größere Umbauarbeiten, wobei unter anderem eine neue Rückwand errichtet wurde. Der Zuschauerraum des alten Burgtheaters war noch eine reine Holzkonstruktion und fasste etwa 1200 Gäste.

 

URAUFFÜHRUNGEN unter Mitwirkung des Chores (Auswahl):
1762 (5.Oktober) Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck
1767 (26. Dezember) Alceste von Christoph Willibald Gluck
1782 (16. Juli) Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart
1786 (1.Mai) Le nozze di Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart
1790 (26. Jänner) Cosi fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart


1771: Einführung der Tonkünstler- Sozietät

Die Hofmusikkapelle in einer aktuellen Musiziersituation; gut ist auch die Uniform zu erkennen, im Original in roten Gehröcken (M. van Meyten / Kunsthistorisches Museum).
Die Hofmusikkapelle in einer aktuellen Musiziersituation; gut ist auch die Uniform zu erkennen, im Original in roten Gehröcken (M. van Meyten / Kunsthistorisches Museum).

Joseph II.  war nun für Oper und Theater zuständig, doch wollte er dafür möglichst wenig Geld ausgeben. Kirche und Hof traten als Mäzene zurück, Hausmusik und öffentliche Konzerte gewannen an Bedeutung. Mit der 1771 gegründeten Tonkünstler- Sozietät schufen sich die Hofmusiker ein eigenes Pensionsinstitut, das auch die Versorgung der Witwen und Waisen sichern sollte. Die Mitgliedsbeiträge sowie große Benefizkonzerte sorgten für die nötigen Einnahmen. 1787 wurde Mozart nach Glucks Tod zum k.k.Hofkompositeur ernannt. Er erhielt 67 Gulden Monatsgehalt, so viel wie Salieri als Direktor der kaiserlichen Oper. Dieser wurde auch Leiter der Hofkapelle und bekam dafür zusätzlich 100 Gulden im Monat. Die Sänger der Hofmusik verdienten zwischen 60 und 200 Gulden monatlich, je nachdem, ob sie nur im Chor oder auch solistisch eingeteilt wurden. Zum Vergleich: ein gutbezahlter Buchhalter verdiente 30 Gulden, Tagelöhner und Fuhrwerker 16 Gulden und ein Malerlehrling 5 Gulden.

 

(Anmerkung: für einen Gulden= 60 Kreuzer  konnte man um das Jahr 1750 etwa 6 kg Rindfleisch kaufen. Eine Herrschaftsmahlzeit kostete 36 bis 48 Kreuzer, eine Dienermahlzeit mit Bier 12 Kreuzer und für die Wochenmiete in einer guten Herberge brauchte man 45 Kreuzer.)


1869: Das Opernhaus am Ring

1861 begann der Bau nach Plänen der Architekten Sicardsburg und van der Nüll, der insgesamt acht Jahre dauerte. Das Gebäude wurde jedoch von der Öffentlichkeit nicht sehr geschätzt. Nachdem das Ringstraßenniveau vor der Oper nach Baubeginn um einen Meter gehoben wurde, wurde es als "versunkene Kiste" heftig kritisiert und trieb schließlich van der Nüll in den Freitod. Knappe 10 Wochen später erlag Sicardsburg einem Herzinfarkt; somit erlebte keiner der beiden Architekten die Fertigstellung.

 

Am 25. Mai 1869 wurde das Haus mit Don Giovanni feierlich eröffnet. 371 Jahre nach Gründung der Hofmusikkapelle durch Maximilian I.  konnten deren Sänger und Musiker endlich in ihr endgültiges künstlerisches "Zuhause" einziehen. 1920 erfolgte die Umbenennung von "Hofoper" zu "Staatsoper".

1869: Die Wiener Hofoper am Ring (Aquarell im Kunsthistorischen Museum).
1869: Die Wiener Hofoper am Ring (Aquarell im Kunsthistorischen Museum).

DIREKTOREN (Auswahl): Gustav Mahler, Franz Schalk, Richard Strauss, Clemens Krauss, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Rudolf Gamsjäger, Egon Seefehlner, Lorin Maazel,  Ioan Holender, Dominique Meyer (seit 1. September 2010)

 

URAUFFÜHRUNGEN unter Mitwirkung des Chores (Auswahl):
1875: Die Königin von Saba von Karl Goldmark
1892: Werther von Jules Massenet
1919: Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss
1928: Oedipus Rex von Igor Strawinsky
1934: Giuditta von Franz Lehár
1971: Der Besuch der alten Dame von Gottfried von Einem
1995: Gesualdo von Alfred Schnittke
2002: Der Riese vom Steinfeld von Friedrich Cerha

PS:
Mit dem Ende der Monarchie war auch das Ende der sakralen Abteilung der Hofmusikkapelle gekommen, die im November 1918 ihre Arbeit einstellte. Nach umfangreichen nationalen wie internationalen Protesten konnte mit 5. Jänner 1919 diese ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. Anfangs wurde das Ensemble aus Mitgliedern der Wiener Philharmoniker und Chor und Solisten der Staatsoper gebildet, ab 1921 wurden (wie "zu Kaisers Zeiten") Sopran- und Altpartien von den wieder gegründeten Wiener Sängerknaben gesungen. Ab 1919 wurde die HMK als touristische Attraktion verkauft und die Messen als Konzerte konzipiert.